DREAM in Tansania

DREAM heilt seelische Wunden in Tansania Geschrieben am

«Alles kann sich ändern». So überschreibt Andrea Riccardi, der Gründer von Sant’Egidio seine persönliche Analyse zur Geschichte der Gemeinschaft, die sich vor 50 Jahren in Rom zu formieren begann. In den 1960-iger Jahren entlud sich der Ärger und die Enttäuschung der Nachkriegsjugend über verknöcherte Institutionen und überholte Denkweisen in weltweiten, zum Teil extrem gewalttätigen Jugendprotesten und Erneuerungsbewegungen. Auch in Rom wehte dieser Geist des Widerstandes gegen das Establishment. Die junge Generation drängte zum Aufbruch in neue Freiheiten. Das Zweite Vatikanische Konzil widerspiegelte auch in unserer Kirche das damalige Verlangen der Menschen nach Öffnung und Mitsprache. In dieses Klima hinein wurde Sant’Egidio im Februar 1968 geboren.

Den Bericht von der Krankenschwester aus dem Ambulatorium in Tansania finden Sie weiter unten auf dieser Seite.

Claudia Antonini erzählt über die Anfänge von Sant’Egidio

Andrea Riccardi, damals noch Schüler am Gymnasium, glaubte auch, die Welt verändern zu können. Aber er setzte nicht auf revolutionäres Kämpfen für Struktur- und Politikwechsel. Er war überzeugt, dass wirkliche Veränderungen und die Beseitigung ungerechter Systeme nur durch eine Revolution in den Herzen der Menschen herbeigeführt werden könne. Zusammen mit seinen Freunden wollte er sich in der Nachfolge Jesu engagieren. Das Hören auf das Evangelium und das tägliche Gebet sollten fortan im Zentrum seines Lebens stellen.

Zusammen besuchten die jugendlichen Freunde in den ausklingenden 60-iger Jahren die Vororte von Rom. Dort wo damals viele Roma und Einwanderer aus Afrika in armseligsten Hütten unter prekären Umständen lebten. Riccardi brachte mit seiner Gruppe den Bedürftigen Essen und Kleider und unterrichtete die Kinder in Italienisch. Sie erkannten bald, dass sie das Evangelium niemals mehr auf Distanz zu den Armen leben konnten. Immer mehr bauten die jungen Menschen ihr Engagement aus. Alte und einsame Menschen, Kranke, Beeinträchtigte und Gefangene erkannten sie als ihre Freunde und schenkten ihnen ihre Hingabe. Es entstanden auf ihre Initiative viele Einrichtungen in der Stadt. Randständige und Vergessene fanden dort ein warmes Essen und sogar ein Obdach. Durch den Dienst für die Ärmsten wuchsen auch der Zusammenhalt und die Freundschaft innerhalb ihrer Gemeinschaft. Sie nannten sich nach dem armseligen Kirchlein, in dem sie sich zum täglichen Abendgebet trafen, “La Comunità di Sant’Egidio“.

Eine allmähliche Verbreitung durch die Welt

Ihr Wirken hatte eine grosse Strahlkraft. Zuerst in anderen Städten Italiens, bald in ganz Europa und über die Jahre auf allen Kontinenten entstanden neue Gemeinschaften im Geiste von Sant’Egidio. So breitete sich ein weltumspannendes Netz der guten Werke nach dem Beispiel von Andrea Riccardi und seinen Freunden aus. Als Beispiel sei hier nur das legendäre Weihnachtsmahl für Obdachlose und Einsame erwähnt.

Die Arbeit an den Rändern der Gesellschaft brachte Sant’Egidio in Kontakt mit Menschen vieler Kulturen und Religionen und lehrte sie die Bedeutung des Dialogs und des Respekts vor Andersartigkeit. Ohne ist ein friedliches Zusammenleben verschiedener Ethnien und Völker nicht möglich. Diese gelebte Erfahrung veranlasste die Gemeinschaft bald, ihr Engagement auf verschiedenste Krisengebiete in Europa, bald in Afrika und schliesslich global auszuweiten. Immer blieben sie ihrem anfänglichen Impuls treu, die Freundschaft mit Jesus und untereinander und mit den Armen allem voranzustellen. Sie erkannten, dass sie mit der ihnen innewohnenden, jugendlichen Kühnheit und Herzenswärme schier Unmögliches realisieren konnten. So beispielsweise der Friedensschluss in Mosambik, die Bekämpfung von AIDS in Afrika, die jährlich wiederkehrenden Friedenstreffen, die Errichtung sicherer Fluchtwege aus Syrien und Vieles mehr. Immer wieder bestätigte sich ihnen: “Alles kann sich ändern“. Wo Menschen sich einsetzen für Menschen und Menschlichkeit, wird die Hingabe zu einem „Perpetuum mobile“ der Nächstenliebe.

Ein herzerwärmendes Beispiel der Arbeit von Sant’Egidio

Lesen Sie dazu gleich im Anschluss den Bericht der jungen Krankenschwester Angel, die im fernen Uwemba/Tansania im AIDS-Hilfe-Programm “DREAM“ ganz vom Geiste von Sant’Egidio erfasst wurde. Seit vielen Jahren engagieren sich unzählige Freiwillige aus unserer Pfarrei für die Waisenkinder in der Missionsstation Uwemba/Tansania. Unsere Kirchgemeinde leistet regelmässig finanzielle Unterstützung, ohne die der Kindergarten in Uwemba und andere Projekte im Umfeld nicht existieren könnten. Seit letztem Jahr unterstützt unsere Kirchgemeinde das neue DREAM-Ambulatorium im Spital Uwemba. Aus diesem Ambulatorium hat uns nun ein bewegender Brief einer jungen Krankenschwester erreicht. Dieser exklusive Bericht zeigt auf, mit wieviel Idealismus die Arbeit dort getan wird und wieviel Hoffnung dieses Projekt schenkt.

Krankenschwester Angel Nziku berichtet aus dem neuen DREAM-Ambulatorium:

Krankenschwester Angel
Krankenschwester Angel

„Mein Name ist Angel Nziku. Ich liebe meinen Beruf als Krankenschwester sehr und habe mich danach gesehnt, eine zu werden. Ich bin glücklich darüber und freue mich über diese einmalige Gelegenheit, das auszudrücken, was in meinem Herzen ist und über meine Erfahrungen zu sprechen, die ich mache, wenn ich mit Patienten arbeite. Bereuen tue ich nicht, dass ich Krankenschwester bin und habe nie daran gedacht, einen anderen Beruf auszuüben als jenen der Krankenschwester.

Das Programm DREAM erweitert meinen Horizont, mein Denken über das Leben im Allgemeinen und über jenes eines Klienten, der mit HIV lebt. Über all die Herausforderungen, denen er sich im Leben stellen muss. DREAM schreibt uns vor, über unsere Klienten eine sehr umfangreiche Krankenakte anzulegen. Zur Wahrung der Anonymität erhalten alle Patienten eine sogenannte Klienten-Nummer. Zuerst werden die Primärdaten erhoben: der Ort, an dem die Person geboren wurde, Name von Mutter und Vater und den nächsten Verwandten mit allen Adressen und Telefonnummern.

Dann halten wir mehr sozial geartete Daten fest. Zum Beispiel die Zeit, die ein Patient benötigt, um ins Zentrum zu kommen und mit welchem Transportmittel er oder sie den Weg hinter sich legt. Wir erfragen die Wohnverhältnisse bezüglich Wasser, Strom, Anzahl der Personen die im selben Haushalt leben, wie viele Zimmer der Familie zur Verfügung stehen, wie viele Personen erwerbstätig sind und in welchen Berufen. Alle diese Fragen stellen wir nicht aus Neugierde. Sie helfen uns, die Lebensumstände der Menschen, die sich uns anvertrauen besser zu verstehen und unsere Hilfe bestmöglich auf die individuellen Bedürfnisse ausrichten zu können.

Der Patient steht im Mittelpunkt

DREAM in Tansania
Angel bei der Arbeit

Wir erheben bei allen Patienten jedes Mal alle Vitalparameter. Damit können wir den momentanen Gesundheitszustand jedes einzelnen beurteilen, aber auch den Verlauf seiner Krankheit bzw. den Genesungsprozess verfolgen. Das ist sehr wichtig für die Entscheidung, die die Ärzte fällen müssen. Wenn ich während der Untersuchungen mit den Klienten spreche und mich ganz aufmerksam einlasse, merke ich auch, wie sie sich fühlen, ob sie froh und zuversichtlich oder unglücklich sind.

Bei meiner Arbeit erfahre ich so viele Dinge über das Leben und die Herausforderungen unserer Patienten. Die Anteilnahme an ihrer Lebensgeschichte ist mir eine Herzensangelegenheit. Es braucht ein zuhörendes und mitfühlendes Herz, um den Schmerz und die Qualen dieser Klienten zu hören und mittragen zu können. Zum Beispiel: Einer Mutter von vier schulpflichtigen Kindern ist der Ehemann weggestorben, weil er nicht akzeptieren konnte, dass er HIV-positiv ist und die Medikamenteneinnahme verweigerte. Oder das kleine Baby, das von seiner Mutter angesteckt wurde, weil auch sie die Medikamente nicht einnehmen wollte und die Anweisung des Stillverbots nicht akzeptierte. Beide Eltern sind jetzt schon gestorben und das Kind wird ganz alleine von seiner Grossmutter aufgezogen.

Freundschaft heilt seelische Schmerzen

Ich bin so dankbar, in diesem Werk mitarbeiten zu dürfen, weil es hilft, den so bedürftigen Menschen nicht nur ihr körperliches Leiden, sondern eben auch ihre seelischen Schmerzen durch unsere Freundschaft zu lindern. Sie bekommen einen Ort, an dem sie sich aussprechen und sich aufgehoben fühlen können. Das hilft ihnen, ihre Situation besser zu akzeptieren. Diejenigen, die die Hoffnung auf das Leben völlig verloren hatten, wagen mit uns einen Neuanfang. Persönlich werde ich sehr glücklich, wenn ich einem verzweifelten Klienten helfen kann. Ich liebe es besonders, jungen Menschen beizustehen, vor allem denen, die die Hoffnung auf ihre Zukunft verloren haben.

Wenn ich mir die Situation im Allgemeinen ansehe, sage ich, ein trauriger Mensch hat seine Lebenskraft verloren. Das Leben wird ihm zur Last. Wann immer ein Klient kommt, ist es mein Wunsch, dass er nach der Sitzung mit einem leichten Herzen nach Hause gehen kann.

Ich möchte Ihnen allen meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Möge Gott Euch segnen. Was Ihr hier mit diesem Programm macht, ist etwas so Grossartiges. Wir können es nicht zurückzahlen.
Das Wort Danke ist nicht nur ein Wort, sondern ein Zustand im Leben. Das Leben selbst ist Dankbarkeit — Dankbarkeit, dass es Euch gibt. Gott alleine, weiss, was Ihr braucht. Er wird Euch reichlich belohnen.“

 

Unsere Pfarrei feiert das 50-Jahr-Jubiläum der Gemeinschaft Sant’Egidio am 10. November 2018 um 17.00 Uhr mit einer festlichen Eucharistiefeier in der Pfarrkirche St. Georg und einer anschliessenden Festveranstaltung im Pfarreizentrum.

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