Seit nun über einem Jahr lebt Andreas Gut mit seiner Familie in St. Gallen. Es war sowohl eine grosse berufliche, wie aber auch private Veränderung, welche die neue Stelle als Domkapellmeister in St. Gallen mit sich brachte. Im Interview gibt er Auskunft, was er bisher in St. Gallen erleben durfte und warum er Küsnacht immer noch vermisst.
Plötzlich wird aus dem Arbeitsweg ein Fitnessstudio
Wie geht es Dir und Deiner Familie? Dein Leben hat sich ja ziemlich verändert mit dem Jobwechsel und dem Umzug.
Das kann man wohl sagen. Wir wohnten im eigenen Haus auf dem Lande und zogen in eine Mietwohnung in die Stadt St. Gallen. Seit 1992 fuhr ich täglich viele Autokilometer. Jetzt fahre ich kaum mehr Auto, gehe dafür zehntausend Schritte zu Fuss in mein Büro im Stiftsbezirk und wieder nach Hause – Arbeitsweg und Fitness zugleich. Vieles erscheint uns, im Vergleich zum Wohnen auf dem Lande, noch immer angenehm nahe beisammen.
Wie hast Du Dich in St. Gallen mittlerweile eingelebt?
Im Stiftsbezirk, rund um Bischof Markus Büchel mit Ordinariat, Kathedrale, Administration und Ämtern, Buben- und Mädchen-Sekundarschule, Stiftsbibliothek, DomBistro, Pfarramt, Kirchenmusikschule, Domsingschule und in der DomMusik, arbeiten viele engagierte, interessante Leute. Man kennt sich, grüsst und hat mehr oder weniger miteinander zu tun. Es herrscht eine freundliche Stimmung, da wir alle, zwar in unterschiedlichsten Bereichen, doch irgendwie für dasselbe arbeiten. Ich habe mich sehr gut eingelebt.
Viele neue und tolle Bekanntschaften
Welches war die grösste Veränderung für Dich?
Ich war fast zwanzig Jahre in Küsnacht tätig und hatte durch die Chor- und Pfarreiarbeit mit vielen Menschen zu tun. Viele kannten auch meine Frau Alexandra und die Kinder, die in Küsnacht ja auch ministrierten. Vierzehn Jahre lebten wir in Jonen, wo die Kinder zur Schule gingen. Dann kamen wir nach St. Gallen und – alles war neu. Ausser Dompfarrer Beat Grögli und einer Handvoll Personen kannten wir niemanden. Alle waren sehr freundlich zu uns, und haben uns mit Tipps geholfen, dass wir uns rasch zurechtfanden.
Am ersten Sonntagnachmittag lud uns der Dompfarrer zu einem Spaziergang durch St. Gallen ein und zeigte uns Quartiere, Einkaufsmöglichkeiten (so auch ein grosses Spielzeuggeschäft, heute Sebastians Lieblingsgeschäft), Bäckereien, Restaurants, Plätze und schöne Orte. Es war winterlich kalt, aber sehr schön. Dann begannen die Chorproben und die Gottesdienste in der Kathedrale und für die Kinder die Schule – alles neue Beziehungen. Das war sicherlich die grösste Veränderung!
Wie haben Dich die Leute in St. Gallen empfangen?
Wir haben die frohe, freundlich-direkte Art der Menschen hier in der Ostschweiz sofort gemocht, wurden mit offenen Armen empfangen, haben viel Unterstützung beim Schuleintritt der drei Kinder und in der Nachbarschaft erfahren dürfen.
Teil von etwas so Grossem zu sein, ist sehr eindrücklich
Wie sieht Dein beruflicher Alltag heute in St. Gallen aus, im Vergleich zum eher kleinen Küsnacht?
Küsnacht ist gar nicht klein! Nach wie vor weiss ich in der Schweiz bisher lediglich von zwei grossen Kirchenmusik-Stellen mit so grosser Chorarbeit: Katholisch Küsnacht und die DomMusik der Kathedrale St. Gallen. Natürlich, die DomMusik verfügt noch über ein paar Chöre mehr, eine sehr qualifizierte Kirchenmusikschule mit 35 Studierenden, mehr Gottesdienste, mehr Konzerte usw., doch Küsnacht, das wissen viele KirchenmusikerInnen, ist bereits ausserordentlich positioniert.
Was ist das Eindrücklichste oder Schönste, was Du in St. Gallen bisher erleben durftest?
Der Ort, die Kathedrale St. Gallen, die grosse Schar der Gottesdienstfeiernden, die Atmosphäre im Kirchenschiff beim grossen Einzug des Bischofs mit Weihrauch unter den grossartigen Orgelklängen von Domorganist Willibald Guggenmos. Die unglaublichen visuellen Eindrücke bei Feiern im barocken Chor der Kathedrale, mitten im reichverzierten Chorgestühl. Ein Teil davon sein zu dürfen, das beeindruckt mich immer wieder und macht einen demütig.
Eine Trennung tut immer weh
Gibt es auch etwas, das Du ein wenig vermisst, oder dem Du nachtrauerst?
Ich vermisse die lieben Menschen aus Küsnacht sehr. Die vielen langjährigen Beziehungen, die aus freundschaftlicher Zusammenarbeit mit engagierten Freiwilligen, den Sängerinnen und Sängern der Chöre oder im Mitarbeiterteam gebildet haben, sind irgendwie abgeschnitten. Einige besuchen uns in St. Gallen, manchmal komme ich nach Küsnacht. Dennoch ist es eine Trennung, die noch wehtut.
Wir selbst (funtastic, die Seniorinnen und Senioren, die Männer-Choralschola, u.a.) haben ja den Dom auch einmal besucht und Du hast uns das Herzstück St. Gallens gezeigt. Bist Du immer noch beeindruckt, wenn Du die Türen zum Dom öffnest?
Ja, das bin ich. Dieses erhebende Gefühl, beim Öffnen und Eintreten, das einem gleichzeitig zeigt, dass das Ganze viel grösser ist als man selber, verspüre ich noch immer. Wenn es mir hier in St. Gallen so ergeht, wie in Küsnacht, dann werde ich dieses Gefühl bis ans Ende meiner Tätigkeit in St. Gallen verspüren. Auch in Küsnacht dachte ich immer beim Aufstieg auf die Empore bei mir «hm, und du darfst hier Kirchenmusiker sein…».
Was hat sich musikalisch bei Dir verändert und welche verschiedenen Chöre leitest Du in St. Gallen?
funtastic samt Band hätte ich gerne mitgenommen – und die anderen Chöre eigentlich auch gleich. Aber ehrlich, so etwas wie funtastic gibt es hier leider nicht. Das vermisse ich schon. Ich leite den DomChor, das Collegium Vocale, die Männer-Choralschola, die beiden Orchester und die Kantorengruppe. Zu meinen Aufgaben gehört die Planung und Leitung sämtlicher musikalischen Einsätze mit Gesang, denn während der Schulzeit singt eigentlich jedes Wochenende mindestens eine der Chorgruppen. Dann plane und leite ich die Musik bei den Gottesdiensten und Vespern mit Bischof Markus Büchel, Gottesdienste mit Familien, die gesungene Musik in den Gottesdiensten aller Sonn- und Feiertage, die DomVesper, die Passions- und Adventsmusiken, die Konzerte und vieles mehr.
St. Gallen ist der richtige Ort für mich
Welches ist die nächste grössere Veranstaltung in St. Gallen, welche wir Küsnachter auf keinen Fall verpassen sollten?
Die Passionsmusik am Sonntag, 11. März um 17.30 im Chor der Kathedrale. Toller Chor, tolles Orchester, tolle Solisten und ganz wunderbare Musik (Haydn, Stabat Mater und zwei Motetten von Johann Sebastian Bach).
Äusserst eindrücklich sind auch die gesungenen Lamentationen im Anschluss an die Feier vom letzten Abendmahl Jesus mit seinen Jüngern, am Hohen Donnerstag während der Karwoche. – Nach der Abendmesse (um 20.30h) strömen hunderte Menschen stillschweigend in den Chor, setzen sich hin, während der Chor mit «bleibet hier und wachet mit mir», singend einzieht und sich im Halbkreis zwischen dem Chorgestühl aufstellt, wo ein riesiger 14-flammiger Kerzenleuchter steht. Dann singt der Chor Ubi Caritas et amor von Duruflé und die «Heilandsklagen», wo nach jeder Klage eine Kerze gelöscht wird, bis lediglich noch eine einzige Kerze (Jesus) den Raum erhellt. Danach erklingt das weltberühmte Miserere von Allegri, der 51. Psalm, ein Psalm indem es um Reue und Neuanfang geht. Die eine Hälfte des Chores bleibt dabei beim Chorgestühl, die andere Hälfte singt fast 100 Meter entfernt unter der Westempore. Dann zieht der Chor, «bleibet hier und wachet mit mir» singend, aus. Modern ausgedrückt würde man sagen: das ist Gänsehaut pur.
Bist Du am richtigen Ort angekommen? War es die richtige Entscheidung?
Die Menschen aus Küsnacht vermisse ich sehr, ich habe aber nie an der Entscheidung, noch einmal etwas Neues zu wagen, gezweifelt – und ja, St. Gallen ist der richtige Ort für mich.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir, zuerst ganz allgemein, dass wir Menschen uns immer wertschätzen; dann, dass Katholisch-Küsnacht der besondere Ort bleiben darf, der es ist, dass wir uns nicht gar so schnell aus dem Sinn verlieren, dass mein Nachfolger Joachim Schwander in Küsnacht so wie ich sein zu Hause findet, dass der liebe Gott seinen Segen zu unserem Tun und Streben schenkt und wir seiner helfenden Hand lebenslang trauen.
Ein sehr eindrücklicher Bericht über die Breite und Intensität einer Kirchenmusik, wie sie heute in der Schweiz und vielleicht auch in anderen Ländern kaum noch zu Gehör gebracht
wird. Es ist himmeltraurig, dass wir diesen grossartigen – und dazu menschlich sehr sym-
phatischen – Kantor nach St. Gallen ziehen lassen mussten . . . . Seine Aufbauarbeit in der
Kirchenmusik von St. Georg darf wohl als einmalig bezeichnet werden.
Ich habe mich sehr gefreut, dass es Andreas und der Familie gut geht.Spezielle Grüsse auch an Alexandra und die Kinder! Mit Joachim Schwander hat Andreas uns einen super Nachfolger geschenkt! Herzlichen Dank!
Schlusssatz von Andreas Gut
Ja, das ist unser Andreas mit seinem tiefen Glauben den er in sich trägt und lebt.