Es mag banal klingen, aber es stimmt: Nach der Coronavirus-Krise wird nichts mehr so sein, wie es war. Diese Aussage gilt nicht nur allgemein, sondern natürlich auch für uns als Kirche. Matthias Westermann geht auf die Konsequenzen ein.
Auf einmal war alles anders
Plötzlich war alles, was Kirche und Gemeinde ausmacht, die gemeinsamen Gottesdienstfeiern, die Veranstaltungen, der Religionsunterricht – sogar der Besuch am Krankenbett potenziell lebensbedrohlich. Nächstenliebe sollte nun dadurch praktiziert werden, sich zu isolieren und den Nächsten allein zu lassen. Ob die getroffenen Massnahmen nun gerechtfertigt oder überzogen waren, kann bis anhin niemand abschliessend beurteilen. Aber ganz bestimmt haben sie für unser Land das Schlimmste verhindert. Nur eines wissen wir sicher: Das Geschäft von Verschwörungstheoretikern wollen wir nicht betreiben.
Wir wollen auch nicht jenen misstrauen, die in diesen schweren Zeiten Verantwortung tragen und manchmal unpopuläre Entscheidungen treffen müssen. Und natürlich ist es unser Auftrag als Kirche, wenn es um den Schutz des Lebens geht, unsere Verantwortung ernst zu nehmen: Denn eine Kirche, die Leben und Gesundheit gefährdet, verrät ihre eigene Mission.
Eine ungewohnte Situation für uns alle
Dennoch hat der Schutz der Gesundheit während der Krise das Grundrecht auf Religionsfreiheit stark eingeschränkt. Sie hat den Gläubigen ihre Gottesdienste genommen und die Seelsorge in einer Form behindert, wie es noch vor Monaten unvorstellbar gewesen wäre. Spitäler und Altersheime, die in diesen Monaten und auch heute noch wie Hochsicherheitsgefängnisse anmuten, durften wir zum Beispiel nicht betreten. So müssen wir mit dem Vorwurf leben, dass ausgerechnet die Institution Kirche, die sich über Jahrhunderte als Sinnstifterin und das Sprachrohr Gottes begriff, inmitten der Coronakrise seltsam still geblieben ist. Hätten wir unsere Rechte selbstbewusster einfordern müssen?
Sicher, aus der Not heraus war man auch in unserer Pfarrei wie vielerorts sehr kreativ, um im Kontakt mit den Menschen zu bleiben. Die digitalen Angebote wurden stark ausgebaut. Beinahe jede Pfarrei, viele Klöster und Bischofskirchen übertrugen den Gottesdienst als Livestream. Natürlich schätzen die Gläubigen diese Möglichkeit sehr.
Aber es gibt dazu auch kritische Stimmen. Nicht nur die Stimmen derer, die am Osterfest und Sonntag für Sonntag in den leeren Kirchenraum schauen mussten. Lassen sich kirchliches Leben und christliche Gemeinschaft wirklich digital vermitteln? Ich glaube nicht, denn im Leben der Kirche, wie überhaupt im Leben, geht es nicht nur um den Austausch von Informationen oder um das Schauen schöner Bilder. Die christliche Kirche im Sinne des Evangeliums lebt von konkreten Begegnungen.
Wir unterliegen sonst der gleichen Täuschung wie jene jungen Menschen, die auf Facebook oder den anderen sozialen Medien Hunderte von angeblichen Freunden haben, aber in Wirklichkeit niemanden kennen, der ihnen aus der Einsamkeit heraushilft. Wer auf dem Sofa sitzend und kaffeetrinkend einen Gottesdienst konsumiert, lässt sich nicht automatisch für einen realen Gottesdienstbesuch begeistern. Und was ist mit jenen, die vor der Coronakrise noch kamen und nach der langen Auszeit nun gar kein Bedürfnis haben wiederzukommen? Weil sie vielleicht spüren, dass ihnen ja eigentlich gar nichts fehlt?
Von der Krise zur Chance
Natürlich hat jede Krise auch ihre Chance, weil man sich neu darauf besinnen kann, was wirklich wichtig ist im Leben. Der Respekt vor all jenen, die in den vergangenen Monaten ihre Existenz oder gar ihr Leben verloren haben, verbietet aber, allzu vorschnell und locker davon zu reden. Vor allem, wenn man an jene Menschen weltweit denkt, die die Vorzüge eines gut organisierten Sozialstaates schmerzlich vermissen.
In dieser Zeit haben wir als Kirche dann doch eines gelernt, nämlich Respekt. Wir haben neuen Respekt vor dem Geschenk des Lebens, das so zerbrechlich ist. Respekt auch vor den starken Zeichen der Solidarität, die es in dieser Zeit in unserem Umfeld und an manch unerwarteter Stelle gegeben hat. Respekt auch vor der Herausforderung, ganz neu zu beginnen, weil das Alte untergegangen ist. Papst Franziskus hat das vor wenigen Tagen vor römischen Priestern so formuliert: “Es gibt keine Zeit ohne Gnade.” Wir sollten dieses Wort ernst nehmen, weil es nicht entmutigt, sondern Mut macht.
Es ist unötig sich zu fragen, ob sich kirchliches Leben und christliche Gemeinschaft digital vermitteln lässt. Besser ist es, beides mit neuen Ideen und Investitionen zu fördern. Nicht nur Covid-19 zwingt uns umzudenken, auch die Jugend bewegt sich zukunftsorientierend digital.
Gabi Gebbia