Während rund 19 Jahren hat Andreas Gut als hauptverantwortlicher Kirchenmusiker die katholische Kirchgemeinde Küsnacht-Erlenbach musikalisch belebt. Im Oktober wurde bekannt, dass Andreas Gut eine neue Stelle als Domkapellmeister in St.Gallen antreten wird. Obwohl dies für den 48-jährigen eine neue berufliche Herausforderung darstellt, ist es für die Pfarrei St.Georg ein schmerzlicher und schwieriger Abgang. In einem Interview beantwortet er Fragen zu seiner neuen beruflichen Herausforderung, seine Höhepunkte in den vergangenen Jahren in der Pfarrei sowie bevorstehende persönliche Veränderungen.
Ein UNESCO Weltkulturerbe als neuer Arbeitsplatz
Zuallererst einmal herzlichen Glückwunsch zur Ernennung zum Domkapellmeister. Wie glücklich und stolz sind Sie darüber?
Es ist tatsächlich ein Glück, dass ich von einer Traumstelle hier an eine andere Traumstelle wechseln darf. Seit 19 Jahren arbeite ich für die Kirchenmusik in Küsnacht. Ich durfte viel ausprobieren und aufbauen. In dieser lebendigen Pfarrei entstanden neben der traditionsreichen Kantorei St.Georg fünf weitere Chorgruppen, die eine Vielfalt an musikalischen Stilen und ein Singen mit allen Generationen in unsere Gottesdienste bringen.
Ab Februar 2017 darf ich als Domkapellmeister in einer der prachtvollsten Barockkirchen der Schweiz, der Kathedrale St.Gallen, einem UNESCO Weltkulturerbe, die etablierte Fülle vokaler Kirchenmusik leiten und meine Passion, die Chorarbeit sowie die Gestaltung von Gottesdiensten, noch mehr ausleben.
Sind mit dem Antritt der neuen Stelle im Februar auch Wermutstropfen verbunden?
Ja! Mehr als ein Wermutstropfen. So mancher Stossseufzer ist mir bereits entwichen. Während der Proben beim Silberchor, Kantorei, funtastic und Ensemble Bleu wird viel gelacht, intensiv gearbeitet aber auch keine Gelegenheit ausgelassen, nach einer Probe noch beim Apéro zusammenzustehen, bei Probewochenenden und Chorreisen zu schwatzen und zu lachen. So wuchs ganz selbstverständlich eine Verbundenheit sowie eine Freundschaftlichkeit. Die vielen Sängerinnen und Sänger der Chöre sind als Personen während der vielen Jahre Teil meines Lebens geworden.
Über 100 Gratulations- und Bedauernsmitteilungen erhalten
Wie hat Ihre Familie sowie das Umfeld der Pfarrei Küsnacht-Erlenbach reagiert?
Alexandra, meine Frau, hat von Anfang an gesagt, dass sie bei dem “Familien-Abenteuer St. Gallen” mitmachen werde. Ohne ihre Zustimmung hätten wir uns nicht auf dieses Abenteuer einlassen können. Für meine Familie und mich bedeutet dieser Wechsel viele Veränderungen und wir stecken bereits mitten drin: Wohnungssuche in St.Gallen, von einem Haus in eine Wohnung ziehen, für meine Kinder Florian, Janina und Sebastian den Schulwechsel auf den Beginn des Frühlingssemesters hin vorbereiten, das Haus vermieten, bei der Suche einer Nachfolge für Küsnacht behilflich sein – und dies alles jetzt, während der kirchenmusikalisch reichsten Zeit des Jahres…
Von meinem Umfeld hat mich eine Welle an Glückwünschen und Bedauernsäusserungen erfasst. Betroffenheit im Mitarbeiterteam und bei den vielen, vielen Sängerinnen und Sängern “meiner” Chöre. Weit über 100 E-Mails, SMS-Nachrichten und Briefe habe ich bisher erhalten. Ich habe mir grosse Mühe gegeben, auf jede einzelne Nachricht ebenso persönlich zu antworten. Verständnis, Glückwünsche, Zuspruch, aber auch Wehmut, dass künftig etwas nicht mehr sein wird, was offenbar Vielen etwas bedeutet hat. Gerade am vergangenen Sonntag sagte ein Konzertbesucher zu mir, dass es ihm klar gewesen sei, dass diese Pflanze (ich) langsam aber sicher einen grösseren Topf brauche um sich weiter entfalten zu können. Diese vielen freundlichen Worte machen mir das Gehen nicht leicht.
“Es warten viele neue Herausforderungen auf mich, doch es war schon immer ein Traum Domkapellmeister in St.Gallen zu werden”
Was wartet in St.Gallen auf Sie?
An der Kathedrale St. Gallen bin ich für die vokal gestalteten Gottesdienste und Konzerte verantwortlich, leite die Chöre (DomChor, Collegium Vocale, Choralschola, Capella Vocale und Ad-hoc-Ensembles) an Proben und Gottesdiensten. Ausserhalb der Ferienzeit singt jedes Wochenende mindestens ein Chor in einem der vier Gottesdienste. Ich betreue die Kantorengruppe, die Chorleiterassistenzen, leite die Orchester und Instrumental-Ensembles, plane und singe in der wöchentlichen Domvesper, plane die Domkonzerte und musikalischen Meditationen, betreue Gastensembles, plane, organisiere und koordiniere alle administrativen Belange (Jahresplanung, Probenpläne, Gottesdienstprogramme, Beschaffung des Notenmaterials, Betreuung des Notenarchivs), gestalte den Übersichtsprospekt der Dommusik, schreibe Pressemitteilung und kontrolliere die Finanzen, pflege den Kontakt zur Domsingschule und übernehme Lehr- und Prüfungsaufgaben an der Diözesanen Kirchenmusikschule. – Also, vieles gleich wie in Küsnacht und an der Zürcher Hochschule der Künste, nur von allem noch etwas mehr.
Welche Herausforderungen sind damit verbunden?
Herausforderungen wird es viele geben. Im Beruf mich baldmöglichst in mir unbekannte Strukturen einfügen, einen grossen Mitarbeiterstab und die etwa 160 Sängerinnen und Sänger der Chöre kennenlernen. Musikalisch pflegt die Dommusik ein mir teils unvertrautes Repertoire, welches ich ebenfalls kennenlernen darf.
Unser Familie- und Freundeskreis lebt fast ausschliesslich in der Region Zürich, Luzern und Bern. Wir bewegen uns also mit einem Wohnortswechsel nach St.Gallen in die “falsche” Richtung. Die Distanz zu unseren Eltern und Geschwistern wird grösser und Beziehungen in St. Gallen müssen erst aufgebaut werden.
200 neue Gesichter und eine persönliche Assistentin warten auf ihn
Was wird der grösste Unterschied zwischen unserer Pfarrei St.Georg und dem St.Galler Dom sein?
Ein Augenschein vor Ort zeigt einen auffälligen Unterschied, nämlich die Grösse: die Kathedrale St.Gallen mit 1000 Sitzplätzen im Hauptschiff gegenüber den rund 300 Sitzplätzen der Pfarrkirche St.Georg. Die rund 100-jährige Pfarrkirche St.Georg hat mir immer gut gefallen und ist zum Singen sehr geeignet. Die Kathedrale samt Klosteranlage und Domplatz gehört zum UNESCO Weltkulturerbe, geniesst weitum grosse Anerkennung, hat Ausstrahlung und ist touristisch.
Für mich relevant wird der Unterschied, dass sich in St. Gallen bereits alle kennen und ich als neues Gesicht das Team ergänze. Auf mich warten 200 Personen, die ich möglichst bald kennenlernen sollte und möchte. Ausserdem kann ich in St.Gallen in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsort wohnen, bekomme ein eigenes Büro und sogar eine Assistentin.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich freue mich vor allem auf den wunderschönen historischen Ort und alles “Neue” auf das ich mich gerne einlasse.
“Die Pfarrei ist mir ans Herz gewachsen”
Was werden Sie am meisten vermissen?
Ich werde die vielen, vielen guten, hochmotivierten, idealistischen und freundschaftlichen Leute der Kantorei, funtastic, Ensemble Bleu, Silberchor und Männer-Schola sehr vermissen. Es sind langjährige engagierte, liebe Kolleginnen und Kollegen, die mir total ans Herz gewachsen sind. Ich werde ein sehr gut eingespieltes und leistungswilliges Mitarbeiterteam vermissen, und ich werde die vielen vertrauten und wohlwollenden Gesichter der Gottesdienstgemeinde und das treue, grosse Konzertpublikum vermissen.
Was waren Ihre Höhepunkte in der katholischen Kirchgemeinde Küsnacht-Erlenbach?
Um Himmelswillen! Es gibt bei uns so viele Höhepunkte! Die jährlichen funtastic-Konzerte sind unglaubliche Höhepunkte für mich, die mich jeweils mit “Vaterstolz” erfüllen. Die Konzerte mit dem Vokalensemble und die grossen Liturgien mit der Kantorei St.Georg werden unvergesslich sein, aber auch die Kinder-Weihnachtsfeier und vieles mehr. – Eigentlich ist jeder überlegt gestaltete und inspirierte Gottesdienst ein Höhepunkt.
Die Suche nach dem Nachfolger ist noch am Laufen
Wer wird Ihr Nachfolger werden und mit welchen Veränderungen muss in der Musik St.Georg gerechnet werden?
Wir sind noch auf der Suche. Hoffentlich jemand, der das Begonnene mit Herz weiterführen und mit Können ausbauen kann. Eine neue Person wird anders auf die Menschen zugehen und die Materie anders in die Hand nehmen. Beten wir, dass sich bei einem möglichen Nachfolger Herz und Können in idealer Weise ergänzen werden.
Was erwartet die Zuschauer an Ihren Abschlusskonzerten im Januar 2017 noch?
Bachs Weihnachtsoratorium am 7. und 8. Januar 2017 mit besten Solisten, tollen Orchestermusikern und dem wunderbaren Ensemble Bleu integral aufführen zu dürfen ist ein riesiges Privileg! Die funtastic-Konzerte am 21. und 22. Januar sind an Jugendlichkeit, Kraft und Engagiertheit kaum mehr zu überbieten.
Werden wir Sie weiterhin als Gast an musikalischen Veranstaltungen in Küsnacht-Erlenbach sehen?
Wenn ich kommen darf und ich die Termine frühzeitig erfahre dann sehr, sehr gerne.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Ich selber durfte während zwei Jahren bei Ihnen im Jugendchor Funtastic singen und viel von Ihnen lernen. Für die Zukunft und die berufliche Herausforderung wünsche ich Ihnen alles Gute und weiterhin soviel Leidenschaft und Motivation bei der Bewältigung all Ihren Aufgaben am neuen Wirkungsort.
Ihre Redaktorin, Tiziana Ballabio