Jorge Bergoglio wird Papst Franziskus
Kaum zu glauben, dass es schon zehn Jahre her sind, dass einem Lateinamerikaner mit italienischen Wurzeln nach einem kurzen Konklave das höchste Leitungsamt unserer Kirche anvertraut wurde. Als Jorge Bergoglio, der Erzbischof von Buenos Aires und früherer Jesuitenprovinzial am 13. März 2013 die Loggia des Petersdomes betritt, sich der Weltöffentlichkeit vorstellt und als erster Papst sich den Namen des Heiligen Franz von Assisi gibt, wird nicht nur an äusserlichen Zeichen deutlich, dass eine neue Zeit in der Kirche anbrechen wird.
Die gelebte Bescheidenheit von Franziskus
Die Kardinäle seien an den Rand der Welt gegangen, um einen neuen Papst zu finden, sagt er an diesem Abend, bevor er die Gemeinde auf dem Petersplatz bittet, ihn zu segnen. An diese Ränder der Welt zu gehen, ist ihm wichtig, und dies fordert er auch von seiner Kirche. Die Hirten sollen den Geruch der Herde haben, und sich nicht in der Sakristei verstecken. Leidenschaftlich setzt er sich bis heute für eine gerechtere und menschlichere Welt ein. Seine erste Reise führt ihn auf die Insel Lampedusa, wo sich Europas Flüchtlingskrise dramatisch zeigt. Die Schlichtheit seines Lebens und seine gelebte Bescheidenheit sind ein Hinweis darauf sein, dass er sich weniger um das traditionelle Lehrgebäude seiner Kirche, als um die Nöte und Sorgen der Menschen von heute sorgt. Gewissermaßen als Entschädigung für seinen informellen liturgischen Stil predigt er direkt und von Herzen.
Zwischen Altem bewahren und Reformen
Innerkirchlich ist seine Bilanz nach zehn Jahren jedoch umstritten. Die Herausforderungen, die sich ihm stellen, sind allerdings auch kaum zu bewältigen. Immer noch kritisieren ihn die einen dafür, dass er die Würde des Papstamtes beschädige, und die anderen, dass er gewünschte Reformvorhaben nicht schnell genug umsetzte. Der synodale Prozess, den er selbst angestossen hat, droht die Gräben in der Kirche zwischen Bewahrern und Reformern zu vertiefen, statt zu schliessen. Wer von ihm ein Machtwort erwartet, wird wohl enttäuscht werden.
Den Weg in die Zukunft gemeinsam suchen
Sein Weg zu Reformen ist die franziskanische Geschwisterlichkeit. Diese verträgt sich nicht mit direktiver Leitung und monarchischer Herrschaft, sondern lehrt, den Weg in die Zukunft gemeinschaftlich zu suchen. Dies kann mühsam sein, denn mit dem Fortschritt in der Kirche ist es ein wenig wie beim Segeln. Wenn man segelt, hat man nicht immer Rückenwind, der es einem erlaubt, einfach geradeaus zu fahren. Manchmal muss man gegen den Wind oder schräg zum Wind segeln, weil man das Ziel nicht direkt ansteuern kann. Dann wendet man und segelt in eine andere Richtung, dann wendet man erneut und wiederholt den Vorgang. So ist es oft im geistigen Leben und im Leben unserer Kirche, auch im Blick auf das Papstamt.
Das Charisma und die Gaben eines Papstes
In einem bestimmten Bereich profitieren wir vom Charisma und den Gaben eines Papstes. Wir lernen von ihm und schätzen die Schwerpunkte, die er setzt. In einem anderen Gebiet profitieren wir vom Charisma und den Gaben eines anderen Papstes. Wir lernen von ihm und schätzen auch die Schwerpunkte, die er setzt. Auf diese Weise erfahren wir die Fülle der katholischen Kirche und die Weite und Tiefe unseres Glaubens. Oder anders gesagt: Franziskus ist nicht wie Papst Benedikt XVI., der grosse Theologe. Er ist auch nicht wie Papst Johannes Paul II., der Weltenmissionar. Das ist in Ordnung. Aber ganz sicher dürfen wir darauf vertrauen, dass derselbe Heilige Geist, der die Kardinäle zur Wahl der letzten Päpste führte, sie auch bei der Wahl Jorge Bergoglios geleitet hat. Papst Franziskus ist im guten Sinne eine Zumutung. Es liegt an uns Katholiken, wie und wofür wir diesen Mut im Handeln und im Glauben einsetzen.
Matthias Westermann, Diakon